Liebe Eltern und alle, denen Kinder am Herzen liegen,

ist es nicht ein Wunder, was Kinder in den ersten drei Lebensjahren alles lernen: sich der Schwerkraft entgegenzustemmen beim Sich-Aufrichten, das Gleichgewicht zu bewahren beim Gehen, den Dialog zu suchen beim Sprechen? Sie verdanken den Erwerb dieser Fähigkeiten nicht zuletzt ihrem unglaublich feinfühligen Nachahmungsvermögen, das seit der Entdeckung der Spiegelneuronen[1] wissenschaftlich erklärt werden kann. Die Voraussetzung dafür sind Menschen um sie herum, die diese Fähigkeiten beherrschen und ausüben. Die kleinen Individualisten entwickeln sich auf ihre Art in ihrem Tempo – weshalb wir uns oft nicht bewusst sind, wie sehr wir sie mit unserem So-Sein beeinflussen. Auch wenn der Begriff des „Vorbilds“ etwas aus der Mode gekommen ist – wir SIND Vorbilder für die Kinder in unserem Umfeld. Sie lernen nicht „zwangsläufig“ aufzustehen, zu gehen und zu sprechen, wie die Beispiele der „Wolfskinder“ belegen. Das gilt auch für alle anderen Kulturtechniken, Strategien und Werte, die wir unseren Kindern mitgeben wollen, damit sie sich später im Leben gut zurechtfinden – übrigens ein völlig legitimer Wunsch aller Eltern.

Dass dieses „Beibringen“ wenig mit Dressieren zu tun hat, auch wenn in beiden Fällen Übung im Spiel ist, wissen wir aus Erfahrung. Wer dressiert, muss das, was er dem Tier beibringen will, nicht selbst beherrschen. Inhalte, Werte und Fähigkeiten, die wir unseren Kindern vermitteln wollen, müssen die unseren sein, sonst klappt es nicht. Trotzdem steht es jedem Kind frei, sich aus „unserem Schatzkästchen“ herauszusuchen, was zu ihm passt – und uns eines schönen Tages weit über den Kopf zu wachsen…

Katharina Offenborn

 


[1] Spiegelneuronen sind Nervenzellen, die bei allem passiv Erlebten  ein Aktivitätsmuster erzeugen, als hätten sie den Vorgang aktiv durchgemacht. Mehr dazu in meinem Artikel "Neuanfang".